Der Fast-food-Konzern McDonald's will zwei mittellosen Kritikern den Mund
stopfen - und blamiert sich in einem Marathonprozeß.
Im Londoner Theaterdistrikt West End stehen Musical-Dauerhits wie "Jesus Christ Superstar" oder "Sunset Boulevard" auf dem Spielplan. Für das Amüsement zahlt das Publikum hohe Eintrittspreise. Die "beste kostenlose Unterhaltung in ganz London", so der Publizist Auberon Waugh, bietet hingegen gleich um die Ecke Kammer 35 in den ehrwürdigen Royal Courts of Justice, dem Justizpalast der britischen Hauptstadt. In dem holzgetäfelten viktorianischen Gerichtssaal mit seiner kirchenhohen Decke läuft seit dem 28. Juni 1994 ein bizarrer Zivilprozeß, der mittlerweile ins Guinness-Buch der Rekorde als längster Gerichtsstreit in der Justizgeschichte des Vereinten Königreichs eingegangen ist. Im Volksmund heißt der Verhandlungsmarathon "McDavid gegen McGoliath" - ein Lehrstück, wie ein mächtiger Konzern mit allen Mitteln sein Recht erzwingen will und dabei seinem Ruf schweren Schaden zufügt. Kläger ist der amerikanische Fast-food-Gigant McDonald's. Beklagte sind der arbeitslose Postbote und alleinerziehende Vater Dave Morris, 42, sowie Helen Steel, 31, die gelegentlich hinter einem Pub-Tresen kellnert. Die beiden gehören der radikalen Londoner Greenpeace-Gruppe an, einer Umweltorganisation, die mit Greenpeace International nichts gemeinsam hat. Sie hatten 1986 erstmals Flugblätter verteilt, in denen McDonald's der Zerstörung von Regenwäldern, des Verkaufs ungesunder und gar krebsfördernder Nahrung, der Verführung von Kindern durch tückische Werbung sowie sklavenartiger Ausbeutung seines Personals bezichtigt wurde. Der weltweit operierende Multi (Gesamtumsatz pro Jahr: etwa 50 Milliarden Mark) engagierte den Londoner Staranwalt Richard Rampton, einen Spezialisten für Verleumdungsfälle, dessen Honorar pro Verhandlungstag in der Branche auf etwa 5000 Mark gesch ätzt wird. Profi Rampton glaubte, daß der Fall in "drei, vielleicht vier Wochen" vom Tisch sein werde - eine zumindest für ihn profitable Fehleinschätzung. Seinen Auftraggebern bescherte der Rechtsstreit, der jetzt die Marke von 300 Sitzungstagen überschritt, neben happigen Kosten vor allem peinliche Enthüllungen. In packenden Kreuzverhören gelang es den Justizlaien Steel und Morris, die sich mangels Eigenmitteln selbst verteidigen, McDonald's-Vertreter im Zeugenstand immer wieder in Bedrängnis zu bringen. So konnten sie die Behauptung widerlegen, daß McDonald's kein Rindfleisch aus Herden verarbeite, für deren Aufzucht Regenwälder in Lateinamerika gerodet wurden. Geschickt wie gewiefte Advokaten verstanden es die beiden Kritiker, gegnerische Zeugen in Fallen zu locken und den Eindruck zu erwecken, als seien die Kläger die Schuldigen. Den Doktor Sidney Arnott, vom Hackfleisch-Riesen als Krebsspezialist aufge boten, fragten sie, ob man "mit Recht" behaupten könne, daß "ein hoher Nahrungsmittelanteil an Fett, Zucker, Tierprodukten und Salz sowie geringe Anteile an Faserstoffen, Vitaminen und Mineralien mit Brustkrebs und Darm-und Herzkrankheiten in Verbindung stehen". Arnotts Antwort: "Für die Laienöffentlichkeit gesagt", halte er diese Aussage "für durchaus gerechtfertigt". Die Beklagten triumphierten: Sie hatten dem Gutachter einen Kernsatz aus ihrem Flugblatt vorgelesen, mit dem sie ihren Vorwurf der Gesundhe itsgefährdung durch Junk food begründeten. Selbst das unternehmerfreundliche New Yorker Wall Street Journal zollte den Pfiffikussen Respekt und urteilte schadenfroh, der Konzern habe vergebens gehofft, die mittellosen "Vegetarier-Aktivisten zu Hamburgern zu verarbeiten". Der Prozeß dauert auch deswegen so lange, weil Richter Roger Bell die Beklagten geduldig mit Rechtsbelehrungen über ihre Kompetenzen als Verteidiger versorgen muß. Derweil wurde der Kläger immer nervöser. Mehrere Vergleichsangebote eigens aus den U SA eingeflogener McDonald's-Manager wiesen die Angeklagten brüsk zurück. Längst sind die mehrmals pro Woche anberaumten Gerichtstermine zu ihrem Lebensinhalt geworden. Morris und Steel, stets mit Jeans und Schlabber-Pullover gekleidet, lernten, sich immer besser im Justizdickicht und in den 40 000 Aktenseiten zurechtzufinden. Morris gewöhnte es sich sogar an, die Hände aus den Taschen zu nehmen, wenn er zu dem Richter mit der weißgepuderten Perücke und der roten Schärpe über demschwarzen Talar spricht. Auch unterläßt er es inzwischen, Rampton einfachmit dessen Vornamen anzusprechen. Das Kohlhaas-Duo erscheint den Zuschauern zwar gelegentlich etwas versponnen und körperlich ausgelaugt, aber die grimmige Entschlossenheit, "diesen Prozeß bis zum bitteren Ende durchzufechten", ist ungebrochen. Morris, ebenso wie seine Mitstreiterin Steel längst zu einem Helden der internationalen Alternativszene geworden und über Internet (http://www.mcspotlight.org/) erreichbar, sieht sich als Avantgarde: "Unser Kampf soll auch andere ermutigen, sich gegen Großkonzerne aufzulehnen. Wir zeigen, daß es sich lohnt." Noch vor Weihnachten, so hoffen Kläger und Richter, sollen die Schlußplädoyers gehalten werden. Frühestens im März nächsten Jahres könnte dann das Urteil ergehen. Aber die beiden McDonald's-Gegner haben es nicht eilig. Morris hat sich ausgerechnet, auf welch schwindelerregende Summe sich die Prozeßkosten belaufen, falls er verliert. Er müßte dann, beim derzeitigen Stand seiner Sozialhilfe, die nächsten 750 Jahre abzahlen: "Da kommt es auf ein paar Prozeßmonate mehr oder weniger nicht mehr an." |